Abenteuer in Sachen Haut – Anmerkungen zur Malerei von Judith Sturm
Dr. Phil. Peter Funken | freier Journalist, Kurator und Dozent - Berlin
Herkunft und Konzept der Malerei Judith Sturms sind inspiriert und grundlegend vermittelt durch ihre langjährige Beschäftigung mit Mode und Modedesign, denn die Künstlerin lernte bereits in ihrer Jugend, familiär bedingt, das Schneiderhandwerk kennen. Es mag deshalb kaum überraschen, dass viele ihrer Bilder und Zeichnungen in Hinsicht auf die Körperdarstellung durch Vorlagen aus der Mode beeinflusst wurden. Aber dann hören die Ähnlichkeiten zwischen den Modevorlagen und ihrer eigenständigen Malerei bereits auf, denn in Sturms Kunst gibt es immer wieder Momente der Irritation, sogar der Provokation, die den schönen Schein des Fashionimages unterlaufen und ihm widersprechen. Augenfällig wird dies spätestens dann, wenn man die Oberflächen ihrer Bilder genauer in Augenschein nimmt, haben doch die dargestellten Models so gut wie immer eine seltsam gerötete, geradezu entzündete Haut, die sich nicht mit gängigen Schönheits- und Lifestylevorstellungen vereinbaren läßt.
In ihren Posen wirken die von Judith Sturm dargestellten Körper junger Frauen und Männer zwar verführerisch, geradezu erotisch, und doch handeln ihre Bilder zugleich von Verletzung und Beschädigung. Nicht nur dass ihre Haut gerötet ist, den Models fehlen auch die Köpfe, und wegen der Kompositionen und Bildanschnitte sind ebenfalls weitere Körperteile nicht dargestellt. Die permanente Kopflosigkeit ist eine von der Künstler bewusst inszenierte Reduktion, die den Blick auf die Körper - auf geschwungene Hüften, Brüste und schlanke Beine - lenkt, zudem auf knapp sitzenden Slips, Bikinis und T-Shirts, die eine erotische Ausstrahlung durchaus betonen. Wäre da nicht die anscheinend erkrankte Haut, man würde solche Form der Körperabbildung vorschnell dem Bereich der Werbung zuordnen, kaum aber jenem der Kunst.
Die fleischfarbenen Partien der Körper geben sich aber nicht allein als Hautflächen zu erkennen, sondern sie bilden bei vielen Arbeiten die untere Schicht der bemalten Leinwand; erst in späteren Arbeitsschritten überdeckt die Künstlerin diese mit weiteren Farben, doch die differenziert rosa- und lachsfarbene Untermalung bleibt durchscheinend erkennbar. Es handelt sich bei dieser Untermalungen um eine Form ungegenständlicher Malerei, um eine Behandlung der Bildoberfläche mit verflüssigter Farbe, in die Salz eingestreut wurde, dass später bei den Darstellungen der Hautflächen die unregelmäßige Rötung suggeriert. Damit entsteht den Arbeiten Sturms eine besondere malerische Lebendigkeit, die einen Gegensatz zu den linearen, umrissartigen Passagen bei den Körperdarstellungen formuliert – und somit eine Fremdheit im durchaus Vertrauten. Man könnte sagen – um mit Dylan Thomas zu sprechen – bei dieser Art der Malerei handelt es sich neben anderem, auch um ein „Abenteuer in Sachen Haut“.
Judith Sturm arbeitet bei der Herstellung ihrer Kunst nach Fotovorlagen und ebenfalls mit Aktmodellen. Dennoch wird der Mensch und sein Körper in einer anonymen, entpersönlichten Facon abgebildet, die vermeintlich losgelöst von individuellen und gesellschaftlichen Eigenschaften existiert. Damit wird in Sturms Malerei eine Menschenfassung erkennbar, bei der aufgrund von Gesichtslosigkeit und Geschichtslosigkeit der Körper als reine Projektionsfläche in den Vordergrund rückt. Der Körper wird demnach zum Objekt, er stellt kein subjektives Gegenüber dar, sondern ist Gegenstand von Spekulationen über ihn. Man könnte vermuten - denn Eindeutigkeit gibt es hier kaum - dass es um ein Körperbild geht, bei dem die erotische, ja sexualisierte Seite in den Vordergrund gerückt werden soll. Unsere Blicke wären dann vor allem voyeuristische und konsumierende Blicke. Doch die Sache ist komplizierter, sie ist ambivalent. Wir schauen hin, doch da ist kein Gesicht, kein Auge, das zurücksehen kann. Und dennoch scheint es eine Reaktion auf unsere Blicke zu geben - eine Reaktion, die unerwartet und ungewöhnlich ist, denn gerade die gereizte Haut der Dargestellten scheint sich gegen unseren Voyeurismus zur Wehr zu setzen und gegen eine einseitige Vereinnahmung zu rebellieren. Die Haut, das sichtbare und äußerliche Körperorgan des Menschen, lehnt sich in Sturms Malerei gegen den schönen Schein, gegen die Auslieferung als Lustobjekt mit einer Abwehrreaktion auf: Sie ist es, die von Verletztheit und Krankheit berichtet und somit ihre eigene Geschichte erzählt und ihre persönliche Erfahrung mitteilt.
In ihrer neuen, 2011 entstandenen Bilderserie „Herbsttag“ bezieht sich die Künstlerin auf ein Gedicht von Rainer Maria Rilke, das melancholisch auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweist, und doch auch von Geborgenheit handelt:
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Mit dem Hinweis auf Rilkes Lyrik vermittelt sich in Judith Sturms Kunst eine einfühlsam poetische Dimension. Fast könnte man meinen, diese poetische Seite sei eine Entsprechung für die Darstellung empfindlicher Haut in den anderen Bildern.
Verlust, Vergänglichkeit und Verletzung gehören somit in den Kontext einer Schönheitsvorstellung, die uns in Judith Sturms Bildern und Zeichnungen immer in Polarität begegnet – Schönheit ist demnach keineswegs allein das konventionell Attraktive, sondern sie besitzt wie eine notwendige Ergänzung immer auch Aspekte von Vergänglichkeit, Leid oder Verletzung. Wir begegnen hier einer nicht homogenisierten Darstellung von Schönheit – zum Schönen gehört im Sinne Judith Sturms auch die Verletzung. In diesem Gedanken verbindet ihre Malerei Gegensätzliches und auch Widersprüche, die jedoch nicht ausgeblendet, sondern in subtiler Form vorgestellt werden.
In diesen Kontext kann man auch die von Judith Sturm angewendete Montagetechnik des Zusammennähens sehen, wie auch die Momente des Zerschneidens und Fragmentierens, das dem Zusammenfügen durch den Nähvorgang vorausgeht.
Insofern kombiniert Judith Sturm künstlerische Methoden, wie etwa das Malen und Zeichnen, mit Verfahren der Schneiderei und sogar mit Texten der Literatur. Es geht ihr keineswegs um den schönen Schein von schönen Körpern, sondern um Tiefendimensionen der Empfindung, um das Begreifen von Zusammengehörigkeit und das Verstehen eines vergänglichen Lebens. All dies sind große Themen der Kunst, die uns in ihrem Werk auf eine ungewöhnlich neue Weise angeboten werden und uns herausfordern, eine eigene Position zu erkennen und zu bestimmen.
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