Das "Davor" und "Dahinter" von Figur und Grund
(Katalogtext Judith Sturm | Robert Schuman Kunstpreis 2007 - Trier | Deutschland)
Ernest W. Uthemann | Kurator | Autor | Ehemaliger Direktor Stadtgalerie SB | Wissenschaftlicher Mitarbeiter Saarlandmuseum - Saarbrücken | Deutschland
Manche von Judith Sturms Frauentorsi wirken wie die „Anziehpuppen“ auf alten Schnittkartons (gibt es die eigentlich noch?): eine – meist weibliche – Figur, nur mit dem Nötigsten bekleidet, aber umgeben von Darstellungen verschiedenster Kleidungsstücke, oft aus Platzersparnis auf dem Bogen um 90 oder 180 Grad gedreht, alle aber in ihren Konturen der Körperhaltung der Figur angepasst, mit rechteckigen „Auswüchsen“ versehen, die dazu dienen sollen, Röcke, Hosen und Blusen nach dem Ausschneiden an der Gestalt „festzuklammern“. Eigentlich wirken diese Bögen nur im Ganzen, unzerschnitten, in der eigentümlichen, der Raumökonomie geschuldeten Komposition ihrer Elemente, die zwar voneinander isoliert, dennoch aber durch ihre Formen auf ein gemeinsames Zentrum ausgerichtet sind.
In jenen von Judith Sturms Bildern, die diese Anmutung wecken, sind meist die Bereiche der Figuren, die von den umgebenden Kleidungsstücken potentiell bedeckt werden könnten – anders als in den Schnittbögen –, ausgespart. Das Resultat ist eine Segmentierung der Körper in Fragmente, die unverbunden vor dem Bildgrund stehen, wie von diesem durchtrennt. Unter rein kompositionellen Gesichtspunkten betrachtet wird damit die Plastizität der Figur in die Fläche zurückgenommen, das „Davor“ und „Dahinter“ von Figur und Grund wird – zumindest zum Teil – aufgehoben.
Ähnliches bewirken die Muster der Kleider und Dessous in Judith Sturms Bildern, Streifen und Punkte zumeist. Zwar folgen sie partienweise der Modellierung der Körper, bewirken sie zum Teil sogar, „ebnen“ sie aber zugleich zu flächiger Ornamentik. Der unbestimmte, meist leere Raum schließlich, in den Figuren und Accessoires gesetzt sind, rückt alle Bildgegenstände in den Vordergrund, selbst dort, wo Teile der Figur diffudierend im Malgrund verschwinden.
Judith Sturms bevorzugte Farbe ist – neben Schwarz – ein Rosa, das von Pink bis zur Fleischfarbe reicht. In diesem Ton klingt das Generalthema der Bilder an. „Denn Rosa, dieses einzigartige Phänomen im Farbenspektrum, ist im Kern paradox; (…) man greift darauf zurück, wenn man die Sünde definieren will, aber auch die Unschuld.“ (Tom Robbins)
Judith Sturms model-hafte Frauen sind verführerisch und gefährdet zugleich: Sie sind gesichtslos und fragmentiert, und ihr Inkarnat wirkt – durch die Beimischung bestimmter Salze zur Farbe – „ungesund“, man möchte gelegentlich sagen: wie leichenfleckig. Der alte Topos vom „Tod und dem Mädchen“ scheint allenthalben präsent, die Demonstration attraktiver Körper in zum Teil aufreizender Kleidung gerät zu einem „vanitas vanitatum“.
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